Uta Schönharting, Farbenwelt

Erzählung

Die Mutter des kleinen Jossele war einkaufen gegangen. Jossele sollte in der Zeit ein schönes Bild malen und wenn ein Pfeifen und Heulen in der Luft wäre, schnell zu Tante Lisbeth hinüberlaufen. Die wohnte draußen im Flur hinter der Nebentür.

Jossele war ein stilles Kind. Er schob seinen Tisch ans Fenster, strich ein großes Blatt Papier aus seinem Malblock darauf aus, holte die Buntstifte und setzte seinen Teddy neben sich. Die Buntstifte waren sehr teuer und schon vielfach angebissen und abgeleckt, aber das Gelb für die Sonne war noch gut. Er malte einen dicken gelben Knopf, von dem Strahlen bis auf den Kopf seiner Mutter in ihrem schönen blauen Kleid gingen. Sie faßte an seine Hand, und er hatte eine grüne Jacke an und rote Hosen. Nun fehlte der Vater. Er erinnerte sich nicht an ihn. Er hatte ihn nur einmal gesehen kurz vorm Einschlafen, aber es gab ein Bild auf der Kommode mit einer schwarzen Schleife, da stand er in einem grünfleckigen Anzug mit ganz wenig Kopf. Wie eine Gurke. Er holte das Bild herüber und malte ein Grün mit großen schwarzen Stiefeln und ein rotes Gesicht mit kleinem Hut.

Es wurde langsam Abend, die Tauben zogen sich gurrend unter die Dachtraufe zurück, und Jossele holte sich ein zweites Blatt, als das Heulen in der Luft begann. Er wusch sich schnell die Hände und lief ins Treppenhaus zur Tante, drückte auf den großen schwarzen Klingelknopf, aber die Tante machte nicht auf. Er klopfte mit den Fäusten an die Tür, hallo, hallo, Tante Lisbeth? Ich bin’s. Nichts geschah. Langsam ging er in sein Zimmer zurück und schaute aus dem Fenster, ob seine Mutter, Tante Lisbeth oder sonst wer zu sehen war. Aber die Straße war ganz leer.

Plötzlich gab es einen häßlichen Schlag und ein Pfeifen und eine große schwarze Wolke stieg über der Stadt auf, aus der ragten gelbe Arme mit roten Fingernägeln, blitzende Fische fielen aus dem Himmel, das Haus ruckelte unter tobendem Donner, ein senkrecht weißer Strahl schoss Sterne in den Himmel, ein glühender Klumpen drehte sich hinter die Schule auf die Straße und schoss gleißendes Feuer auf, hinten beim Gaswerk strömte ein leuchtend blauer Fluß, glitzernde Pfeile schossen die Straße hinunter, ein Baum in Peters Garten brannte wie ein Osterfeuer und dann die Büsche daneben. Immer noch das Heulen in der Luft und Schläge, die Farben verquirlten sich zu bunten Wolken, das Gelb wälzte sich über das Schwarz, es brüllte ein Weiß über die Dächer, bis sich das Schwarz wie ein Pilz nach den glitzernden Flugzeugen reckte, in sich zusammenfiel und Blau sprühte. Dazu ein Klopfen als wollte jemand einen Besuch machen, das hörte gar nicht auf, toktoktoktoktok. Blitze schossen vorbei, vor dem Fenster schäumte ein Strahl auf, der die Fensterscheibe zerbarst. Es strömte, zischte, glitt in bunten Tropfen vorbei, dann…

Dann endlich zog sich ein großer schwarzer Flügel über die Stadt, ganz langsam, da sah er wieder die Sterne am Himmel. Die richtigen. Die Stadt glühte noch in vielen Feuern dagegen an. Ein heißer Wind strömte durch das zerborstene Fenster, und schwarzer Staub lag auf der kleinen Faust, die den Malstift umklammerte.

Mama, rief er und lief in den Korridor, der sicherste Platz, sagte Mama, wo ihre Schlafmatratzen lagen, eine große und eine kleine. Mama, rief er und preßte seinen Teddy an sich. Er rollte sich in seine Decke mit den Bärchen auf seine Matratze, weinte und weinte und machte heißes Pipi in sein Bett. Immer noch wurde an die Stadt geklopft, toktoktoktok. Er würde nicht aufmachen. Mama.

Als die Mutter am frühen Morgen kam, fand sie ihr verweintes Kind unter den Decken im Flur, den Teddy im Arm. Er hatte ihm die Augen herausgedreht.

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