kreuzberger dichtungswerk

Michael Kreutzer, Momentaufnahmen. Das kdw, seine Website, meine Texte

Das kreuzberger dichtungswerk, kdw, ist für mich, den Schon-lange-nicht-mehr-Kreuzberger, dennoch die Schreibwerkstatt von nebenan: einer dieser wunderbaren Räume städtischer Nachbarschaft, zwischen den Szenen und Blasen, zwischen den Stilen und Stühlen, ein Zwischenraum, in dem im Lauf der Zeit ein Publikum sich selbst erfinden und erzeugen kann: keineswegs gleichgültig gegen Inhalt und Form und den politischen Gang der Dinge, aber unprätentiös. Manche Dichtungswerke machen Dichtungen für Wasserleitungen, das kreuzberger dichtungswerk macht eben Dichtungen für Lesungen.

Für diese Lesungen schreibe auch ich Texte oder fische solche, die ich geeignet finde, aus der Schublade, die heute eine digitale ist. Geschrieben bzw. ein- oder zugerichtet sind dieseTexte dann für die je bevorstehende Lesung, und ob und wie sie sich gerade dort bewähren, in diesen anderthalb Stunden, das bedeutet mir viel.

Für die Veröffentlichung im Buch oder auf einer Website sind diese Texte eigentlich nicht gedacht. Mehr als ich selbst, so kommt es mir vor, sträuben sich meine Texte und fremdeln, wenn ich sie auf dieser Website festnageln will. Texte haben ihr eignes Leben, ihren eignen Willen. Manche wollen vielleicht gar nicht länger als die kurze Zeit am Leben sein, die ich brauche, um sie vorzulesen. Andere befinden sich im vollen Lauf, irgendwohin, wieder andre hadern mit den Texten andrer auf derselben Website oder hadern mit sich selbst. Oder sie trainieren vielleicht gerade, wofür auch immer, was weiß denn ich. Wie gesagt, Texte haben ihr eignes Leben, ihren eignen Willen.

Am skeptischsten gegen Veröffentlichung sind zumeist die Texte, die mir auch am nächsten sind. Denen hilft es wenig, wenn ich ihnen sage, dass eine Website wie die des kdw nur „Momentaufnah­men einer lebendigen Textpraxis“ zeigt, da sagen sie nur: Wie bitte? oder: Na und? – Nein, Kinder, sage ich dann, ihr habt ganz recht. Eine Website ist ein kalter Spiegel unter Neonlicht, ohne wohlmeinendes Publikum, ohne Snacks und Getränke, ohne die Zigarette danach, ohne Papas tiefe Stimme im Rücken… Aber, sage ich dann und hebe die Stimme, da müsst ihr jetzt durch. Das haltet ihr schon aus. Lasst euch ansehen, seht euch doch mal an.

Und? Was seht ihr?

Ich sehe was, was du nicht siehst, sagen sie dann.

Das fand ich schon immer ein gutes Spiel.

Und meine Texte wissen: Sie kommen nur weiter, wenn sie dieses Spiel gegen den Autor gewinnen.

2 Kommentare

  1. Ein kalter Spiegel, sei die Website, so schreibst du, auf der unsere Texte „festgenagelt“ seien. Das ist ein grausames Bild. Es erinnert mich an diese Schaukästen in Naturkundemuseen, in denen Schmetterlinge festgenagelt sind. Arme Kerlchen. Deswegen sind sie nicht aus ihrem Puppenstadium erwacht, aus ihrem Kokon gekrochen, deswegen haben sie nicht ihre schönen, bunten Flügel entfaltet, nicht um aufgespießt in einem Glakasten unter Neonlicht zu liegen.
    Ist es denn wirklich so mit unseren Texten? Am Anfang habe ich ziemlich viele Hoffnungen an unsere Website geknüpft, habe gedacht, „Warum denn nicht? Warum sollen wir nicht auf diese Weise hin weiter präsent bleiben?“ Hat aber nicht geklappt. Warum nicht? Weil unsere Texte nicht dafür geschrieben sind? Du beziehst dich zwar nur auf deine Texte, aber das gilt genauso für die meinen, für unser aller Texte. Wir, das kreuzberger dichtungswerk, wir machen Dichtungen für Lesungen.(Sehr schön gesagt) Und wenn es keine Lesungen mehr gibt, für wen oder was stellen wir dann unsere Dichtungen her?
    Seit einiger Zeit bemerke ich an mir selbst, dass ich, wenn ich an unser kdw denke, die Vergangenheitsform benutze. „Wir haben Lesungen gemacht, wir hatten ein Publikum, mit dem wir diskutieren konnten (manchmal zumindest), wir hatten unsere Vorbereitungen, die Aufregung, das kleine Lampenfieber, wir hatten die Freude. Und ja, wir schrieben unsere Texte genau dafür. Sie brauchten das, sie brauchten uns, unsere Stimmen, unsere Präsenz, unser Leben. Unser Publikum. Und vermutlich auch die komische kleine Kiezstube und den mehr und mehr verödenden Mehringplatz. Oh je, oh je, wie ich das alles vermisse!
    Und jetzt? Wie geht es weiter? Sollen wir die Seite schließen? Sollen wir damit weitermachen, unseren Texten sagen: „Hej, stellt euch nicht so an, da müsst ihr jetzt durch!“, so wie du es vorschlägst, Michael? Und wie können Texte das Spiel gegen ihre Autoren gewinnen? Was sehen sie, das wir nicht sehen? Die Möglichkeiten des Glaskastens, das zwar tote, aber aber doch viel länger währende Leben? Den genauen, vielleicht sezierenden Blick eines (möglichen) Publikums? Was ist dieses Spiel, das verstehe ich nicht so richtig. Möglicherweise bin ich zu einfältig. Außerdem habe ich dieses Spiel im Gegensatz zu dir nie geliebt, habe mich ehrlich und im Vertrauen gesagt, dabei immer ein bisschen gelangweilt.
    Doch ich danke dir für deine Überlegungen, sie sprechen mir aus dem Herzen (sorry wg. Gemeinplatz) und außerdem habe ich mich sehr gefreut, von dir zu lesen. Du hast mir Mut gemacht.
    Zum Abschluss noch eine Frage in die weite, weite Runde des Internets: Was kann man tun gegen Ideen-Ausfall? Hat da jemand eine Idee?

  2. Ganz traurig gemacht hat mich eure Wehmut, aber Achtung: in der Wehmut liegt auch immer eine Selbstverliebtheit, die Verantwortung ablehnt für sich, untätig verharren will. Das ist das Ende von Kunst, die schöpferisch gestalten will, ja, die Kommunikation mit den Menschen sucht. Weil es uns erfüllt, wenn wir Poeten, Schriftsteller sind.
    Said, ein Poet aus dem Iran, sagt, die Poesie sei die einzige Form von Wahrheit, wo über die Presse die Diktatur, über die Malerei die Religion herrscht. Dort, in der Unterdrückung vom Wort, weiß man, wie das Wort sich immer neue Wege sucht und nicht schweigen kann.
    Und wer hat Angst vorm Spiegel? Er zeigt uns alles verkehrt herum und ist „für das Sein des Nicht-Seins Trug“, wie ein persischer Dichter sagt. Löst euch von der Selbstbespiegelung und geht weiter.
    Sicher, ich habe wenig Lesungen mit euch zusammen gemacht, weiß aber um den Reiz eines kleinen plüschigen Echos. Nur schließt das eine das andere nicht aus. Und wo sollen wir hin mit unseren Stimmen. Ihr habt sie doch auch in euch. Und gerade jetzt. Und überhaupt.

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