kreuzberger dichtungswerk

Annette John, Confessio felis. Erzählung

Meinesgleichen verzehrt sein Essen nie vollständig. Immer bleibt ein Rest im Schälchen, darauf achten wir. Dieser Rest wird nicht etwa zum späteren Verzehr aufgehoben, nein, nein auf keinen Fall. Schon nach kurzer Zeit verliert er seinen appetitlichen Geruch, ja man könnte ohne zu übertreiben sagen, er beginnt zu stinken. Ihn aufzuessen, käme einem Verrat an unserer Art gleich. Wir brauchen frische Sachen, ausschließlich frische. Warum aber, werden Sie vermutlich fragen, lassen wir überhaupt den Rest? Warum leeren wir das Schälchen nicht völlig, solange sein Inhalt noch mundet? Dies resultiert aus der uns angeborenen Vornehmheit. Es zeugt von Größe, ja von Würde, das Essen nicht herunter zu schlingen wie gewisse andere  Wesen, sondern es langsam, Bröckchen für Bröckchen aufzunehmen und eben einen Rest zu lassen. „Es gibt Wichtigeres im Leben als ein blank geschlecktes Essgeschirr“, sagt dieser Rest. „Ein gepflegtes Fell, zum Beispiel. Anmut in der Bewegung sowie im Ruhen. Meditation. Schlaf. Spiel. Die tägliche Kontrolle des Reviers. Die Jagd. Und – last but not least – Zärtlichkeiten.“

Meinesgleichen liebt es, gestreichelt zu werden. Wenn ich auf dem Schoß meiner Einen ruhe und sie mich streichelt, ach ich sage es ungern, doch ich sage es, vergesse ich sogar das Gebot der Anmut. Dann mache ich mich lang, laang, lasse den Kopf über ihr Knie hängen, biege die Beine zur Seite, biete ihr meinen Bauch in seiner gesamten Länge dar und genieße. Zerfließen könnte ich vor Genuss, und ich schnurre so laut, dass ich selbst davon trunken werde. Unangenehm wird es nur, wenn sie, meine Eine, in ihrem Tun gestört, wenn unsere Zweisamkeit zerrissen wird, sei es durch eines ihrer Jungen oder durch den Anderen, diesen grobschlächtigen Kerl, der mich nur duldet, ebenso wie ich ihn. Dann mache ich meinem Ärger Luft, ich buckele, ich fauche und bringe auch mal meine Krallen zum Einsatz, selten zwar, doch hin und wieder schon, wenn ich gar zu erbost bin. Dann schreien die Jungen, und der Andere flucht. Ich aber sause davon, durch mein kleines Türchen, hinaus in den Garten, erklimme meinen Aussichtsbaum und schmolle, während ich mich energisch der Fellpflege widme. Ich und meine Eine, wir gehören zusammen. Wieso respektieren die das nicht, die beiden Jungen und der Andere? Wieso müssen sie sich immer wieder wichtig tun, sich zwischen uns drängen, als hätten sie größere Rechte, als wäre ich nichts als ein Zubehör, weniger noch, nichts als ein Rest am Grunde der Schüssel, ein Rest aus einem anderen Leben vielleicht, den man aus irgendwelchen Gründen nicht gleich entsorgen kann. Und meine Eine, wieso lässt sie das zu? Wieso schlägt sie die Jungen und den Anderen nicht einfach fort? Meinesgleichen tut das, zuerst den Partner und nach einer gewissen Zeit auch die Jungen. Das ist normal. Und es ist sowohl ärgerlich, als auch verdrießlich, wenn die Dinge nicht so geregelt werden, wie es die Normalität verlangt.

Doch ich muss sagen, dass solche Unstimmigkeiten zwischen meiner Einen und mir nie lange anhalten. Bald schon empfange ich aus dem Inneren des Hauses nur noch friedliche Geräusche. Die Jungen liegen in ihren Schlafstätten, der Andere starrt in sein Flimmerding und meine Eine sitzt am Tisch und raschelt mit Papier. Aber noch ist es nicht an der Zeit für mich zurückzukehren.  Wenn ich jetzt hineinschliche, sähe das zu sehr nach, nun ja, Hineinschleichen aus, nach schlechtem Gewissen, dem Gegenteil von Würde. Außerdem habe ich zu tun. Ein Revier überwacht sich nicht von allein, es ist überaus wichtig, dass ich Meinesgleichen, die sich in der Nähe herumtreiben, signalisiere: „Ich bin hier. Haltet Abstand oder macht euch auf einen Kampf gefasst!“

Und im Gras raschelt die Beute. Ich lauere, ich schlage zu, ich spiele mit der Beute, ich verzehre sie. Natürlich lasse ich auch von ihr einen Rest. Soll sich drum kümmern, wer will. Im Nachbarhaus wohnt einer von diesen lauten, geifernden, würdelosen Wesen, die sich für nichts zu schade sind, Restefresser, nenne ich sie. Manchmal kommt ein solcher in unser Haus, in mein Haus, das ich zusammen mit meiner Einen und ihrem Anhang bewohne. Was, glauben Sie, ist das erste, das dieses Untier tut? Genau. Es macht sich mit widerlichem Eifer über die Reste in meinen Schälchen her, schlingt in wahnsinniger Hast alles in sich hinein, schleckt und leckt das Geschirr, damit ihm auch nicht der winzigste Krümel entkomme. Danach wendet es sich mit gierigem Triumph gegen mich, scharrt mit allen Pfoten, knurrt, geifert, droht, will mich erledigen, doch ach, wie armselig sind alle seine Bemühungen. Erstens hängt es fest im Griff seiner Sklavenleine, zweitens throne ich ganz oben auf dem Hochplateau des Küchenschranks, das es nie erreichen könnte, auch nicht wenn seine Herren, oder wie immer man diese Leute nennen möchte, es von der Leine ließen. Ich aber achte auf Eleganz. Pfoten unter den Leib gezogen, Schweif im schönen Bogen um den Körper gelegt. Um das Untier völlig aus der Fassung zu bringen, schließe ich meine Augen bis auf einen winzigen Schlitz, aus dem ich es in ruhiger Verachtung beobachte. Nur meine pochende Schweifspitze und meine zuckenden Ohren zeigen, dass ich keine Statue bin. Das macht es kirre. Früher oder später wird es von seinen Herren aus dem Raum gezerrt. Ich bleibe dann noch ein Weilchen auf meinem Hochsitz, bevor ich mich betont langsam erhebe, mich genüsslich strecke, in geschmeidigen Sätzen den Schrank verlasse und durch mein Türchen in den Garten trete.

Unabhängigkeit, sagte ich das schon? Auch diese ist mir und meinesgleichen äußerst wichtig. Trotzdem aber können wir lieben, ja fast möchte ich sagen, sind wir verurteilt, zu lieben.

Die Nacht gleitet voran. Ich schnuppere am Duft der Gartenkräuter. Einige von ihnen haben ein ganz und gar betörendes Aroma. Ich höre das Trippeln der Beute, das mich jedoch nicht mehr interessiert. Vielmehr lausche ich auf das eine, das einzig nun wichtige Geräusch. Endlich kommt es. Die Terrassentür wird geöffnet. Meine Eine tritt heraus und ruft nach mir mit dieser zirpend hohen Stimme, diesen zärtlichen Lauten, die sie nur für mich reserviert hat.  Selbstverständlich reagiere ich nicht sofort. Erst, wenn ich an ihrer Stimme und Körperhaltung merke, dass sie die Tür gleich schließen wird, eile ich zu ihr hin. An der Schwelle setze ich mich noch einmal und lecke mir das Brustfell. So teile ich ihr meine Unabhängigkeit mit. Sie seufzt, als ob sie meiner überdrüssig wäre. Doch natürlich ist dem nicht so. Sie liebt mich. Drinnen dann gebe ich jede Zurückhaltung auf, reibe mich an ihren Beinen, schnurre laut und lasse es sogar zu, dass sie mich hochnimmt. Weich, als hätte ich keine Knochen, schmiege ich mich an ihren Hals, um ihre Schultern.

So ist das mit mir und meinesgleichen. Wir wählen sorgfältig, welchem dieser lauten, drollig tölpelhaft auf den Hinterpfoten stampfenden Wesen wir unsere Zuneigung schenken. Wir könnten auch ohne sie leben, besser gesagt, überleben. Doch was wäre das für eine Existenz? Ganz ohne Liebe, nur den Zwängen des Überlebens gehorchend? Nein, wir brauchen sie, besser gesagt, wir brauchen eines, in sehr seltenen Fällen, einige von ihnen. Und wenn wir uns entschlossen haben, dann ganz und gar. Ausschließlich. Der Rest dieser Spezies ist uns schnurrrrrz.

Ein Kommentar

  1. Ein wunderbares Einfühlungsvermögen, sprachlich leicht und souverän. Die Perspektive macht ein stolzes Kätzchen und eine große Liebe sichtbar. Eine wirklich schöne Erzählung!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert