kreuzberger dichtungswerk

Michael Kreutzer, Schnitt. Gedicht

Schnitt. Gedicht (2020)
Lockdown-Schreibtischlesung 17.04.2020

Schnitt, sag ich. Es fließt nichts mehr hinein, die
Glieder sterben ab, ich geh ins Herz und gucke dort
und hör dem Blut zu, wo es hingehn will, wenn es
denn könnte: es will dort hingehn, wo es muss.
Ich trau dem schwachen Blut und will die Adern
die dieses Blut sich selber schüfe, will: den Leib. Was wär
das für ein Bild, das Körper von sich selber zeichnen?
Was wär das für ein Blut, das noch den Stein durchdränge
und blieb doch meines auch? Wie würd’s den Stein
denn ädern? Der zeigte mir ein Bild von mir, das mich
nicht zeigt. Vielmehr: ich wär dies Bild, und Bild und Stein
und mein Gesicht und deines wärn wohl eins im andern.
Ich trink dies schwache Blut, es ist ein starker Mokka heut.
Ich seh den Rauch, den Monitor. Ich such den Code. Ich will
die Quelldatei. Und will den Widerstand des Steins, der
leise Schmerzenslaut kommt auch von ihm. Ich hör
die Vögel. Es ist kurz nach sechs.

(März 2020)

Druckversion (PDF)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert