kreuzberger dichtungswerk

Anne Lorquet, Kurze Gedichte und Prosa

O Diego

Sei gelobt
O Diego
du, der Hundertjährige
hast mit
deinen Liebesexzessen
und deiner unermüdlichen Libido
deine Rasse, deine Spezies
gerettet
mit den acht hundert
Riesenschildkröten,
die du auf die Welt gesetzt hast
hast du sie vor dem Aussterben
gerettet
und jetzt
Diego
darfst du
wieder auf die Insel Galapagos
mit deiner ganzen
Nachkommenschaft
dich austoben

xxx

warum so lange

warum so lange sich in den verschnupften Tüchern von seiner Großmutter bequem machen und voll Schrecken flüchten vor was sich nie vollziehen könnte aber sich aufregen über die lange Zeit der verblüffenden Spargel die niesen wenn man sie ruft denn sie sind nicht schön und wollen sich entschuldigen dass sie nicht das kleinste Salzkörnchen bringen können während das unmögliche Getreideland nie erreichbar ist bevor man abfliegt und immer weiter flüchtet
weit weg von den Seerosen und den Küchenschaben denn warum wissen warum
nichts hat Sinn für die die zu viel davon wollen und jammern dass sie nie das Schönste der Leben bauen können

xxx

pourquoi si longtemps

pourquoi si longtemps dans les linges enrhumés de sa grand-mère se prélasser et s’enfuir plein de terreur, de ce qui ne pourrait jamais se produire mais s’exciter sur le temps long des asperges époustouflantes qui éternuent quand on les appelle car elles ne sont pas belles et veulent s’excuser de ne pas pouvoir porter le moindre grain de sel alors que l’impossible terre à blé n’est jamais atteignable avant de prendre son vol et de s’enfuir toujours plus loin
loin des nénuphars et des cancrelats car pourquoi savoir pourquoi
rien n’a de sens pour ceux qui en veulent trop et gémissent de ne jamais construire la plus belle des vies

xxx

Wenn ein Armer einen Reichen beklaut

Die Reichen.
Man könnte sie sich so vorstellen, die Reichen, wie sie Berge abreißen, durch ihre mit ihrem allgegenwärtigen Genuss allmächtige Macht, die alles überschwemmt und verschlingt, wie ein verwüstendes Meer, ein den Lebensraum zerfressender Orkan, ein aufbrausender Vulkan.
Aber nein, also, hören Sie! Man hat doch Umgangsformen.
Die Formen, das ist, was zählt.
Die Aufmachung, elegant und maßvoll, wie es sein muss. Die Höflichkeit in allen Gesten, in allen Sprachen. Sie wissen sich immer schön anständig zu verhalten.
Das ist die Oberfläche.
Unter dieser Decke von Anstand, ohne sich etwas anmerken zu lassen, zerquetschen sie ALLES und alle anderen.
Die anderen, das sind die Angestellten, die Arbeiter, die Bediensteten, die die unter ihrem Befehl sind, die ihre geringsten Wünsche verwirklichen. Und die unzähligen anderen, die Armen, die nicht ihren Teil des Erbeuteten nehmen konnten.
Sicher, es ist komplexer als dies. Es gibt Nuancen, verschiedene Stadien, Grade, Stufen einer komplexen Treppe. Es ist nicht alles schwarz oder weiß.
Aber das System ist da, universales Spinnennetz, das die Welt verwebt, gestaltet.

Ach diese Schönheit, so sanft und liebenswürdig – an der Oberfläche – in ihren Häusern, die die Wolken kratzen, sind die gemütlich weichen Betten, wo man es sich bequem machen kann, sich streicheln und sich küssen und sich durchdringen, die seidigen Teppiche, die schön bedeckten Tische, die großen Fenster, die zum Raum geöffnet sind, über den sie herrschen, die Bilder, die Kunstwerke. Und das GELD, das GOLD, das ist überall. Aber das versteckt sich anständig.
Ganz oben sind die unsichtbaren Banküberweisungen.

Ganz unten sind die Bettanhäufungen, der Schmutz, die Kloaken, die Läuse, die Ratten.
Und dann am Ende die Brände verzehren die Erde, die Wässer verschlingen die Kontinente, und die Wälder, die Tiere, die unzähligen armen Menschen verschwinden.
Denn sie mussten doch, sie, die Reichen, konsumieren, genießen, ihre Reichtümer entwickeln – das nennt sich doch Entwicklungspolitik –, ihre für Reiche normale Genußsucht sättigen, ihre unbegrenzten Exzesse aufzehren, sie müssen verzehren.
Dann, ganz unten in ihren Palästen gibt es Keller, Juwel von riesigen Verstecken, wohin sie sich flüchten werden, wenn alles um sie herum verschwunden wird. Keller, oder fliegende Schiffe, die weiter fliegen werden, zu anderen Planeten, die sie jetzt verzehren können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert