kreuzberger dichtungswerk

Uta Schönharting, Medea

Wann endlich senkt sich die glühend heiße Sonne über den Evros. Die Hitze knackt in den Steineichen – oder sind es die Schritte der griechischen Grenzpolizei? Ich schiebe meine Füße zur Kühlung vorsichtig in den modrigen Schlamm des träge fließenden Grenzflusses. Vielleicht noch drei Stunden? Ich habe keine Uhr mehr.

Du, Geliebter, hast mich so verraten, in diese Fremde geworfen, in der keine Hand mehr ist, die mich hält. Nur Tote begleiten meinen Weg. Ich sehe meinen Gott nicht mehr. Sie haben mir das Kopftuch abgerissen, mich im Flüchtlingszelt genommen, zu zweit, zu dritt, die Kinder weinten. Meine Augen kennen keine Tränen mehr, mein Hals schmerzt vom Schreien. Und du, Jason, wo bist du mit deinen Versprechen?

Mein Vater ist reich und hat Einfluß in seinem Land. Er kleidete seine Tochter in das Funkeln von Chopard, Armani und Coco Chanel. Ja, ich war schön und verfiel dir in der ersten Stunde.

„Komm, komm, lass uns nach Europa fliehen, in die USA“, locktest du mich zur Dämmerung am Springbrunnen heimlich, wenn der heiße Wind nachließ. „Wir heiraten, du studierst und bist frei für alles, was du willst auf der Welt.“ „Ein gefährlicher Mann“, sagte mein Vater. „Er hat die Härte in den Augen, die langjährige Krieger haben, zu viel Mord hat ihre Seele zerstört. Ich habe ihn gerufen, um meine Feinde zu besiegen, nicht, um meine Tochter zu zerstören.“ Ich aber sehe die Augen nicht, ich sehe deine brennenden Lippen. Ich halte deine kühlen Hände an mein brennendes Gesicht. „Ja, ich komme mit dir. Überall hin. Du bist mein Leben.“

„Aber hör zu, Liebste, die Fahrt ist riskant und muß gut vorbereitet sein, wir brauchen etwas, was nur dein Bruder hat: die Liste der derzeitigen IS Mitglieder in Europa. Damit kaufen wir uns ein Frei-Asylticket wo wir wollen. Du wirst dich bei einem Abendgespräch zärtlich an deinen Bruder lehnen, den Schlüssel aus seinem Gürtel fingern und mir zustecken. Ich öffne dann schnell sein Arbeitszimmer, entnehme die Unterlagen und bringe dir den Schlüssel sofort wieder. Er wird nichts bemerken.“ „Sie werden ihn enthaupten, wenn seine Brüder im Islam es auch nur ahnen!“ „Wir werden ihn rechtzeitig warnen. Und uns liegen alle Geheimdienste zu Füßen.“ Ach, Liebster, hätte ich sie nicht gehört, die Schlange, die aus deinem Mund sprach. Sie haben meinen Bruder getötet, den ältesten, Vaters Nachfolger, meinen liebsten Bruder. Was brannte die Liebe in meinen Adern, dass ich das tat, Liebster, alles vergaß ich neben dir.

Die Fahrt mit dem Schiff hinüber nach Italien dauerte ewig, als würde ein Anker uns halten. Mein Vater hatte den Küstenschutz alarmiert, er folgt uns dicht mit schäumendem Bug. Wie ich mich hinter der Kajüte verstecke, sehe ich Mikos, meinen kleinen Bruder. „Du mußt hier bleiben.“ Jason wirft eine Luftmatratze auf das Meer, das die Farbe des Himmels hat. „Rauf mit dir,“ schreit er Mikos an und ich „Holt ihn, bringt ihn zurück!“ Sie werfen einen Haken nach ihm aus, die Matte dreht sich, mit einem Schrei stürzt Mikos ins Wasser, er kann nicht schwimmen. Stille liegt über dem Wasser. Der Küstenschutz dreht ab, nicht Lebensrettung ist seine Aufgabe, sondern ihm unnützes Leben zu verhindern. Mikos, Mikos, nun liegst du auch auf meinem Herzen. Mit jedem Schritt auf dich zu, Jason, zerstöre ich ein Leben, wird der Schritt schwerer.

Nach heimlichen Kontakten bekommen wir Asyl in Italien. Der FBI macht Jason den Weg frei für ein unbeschwertes Leben, er gehört bald zu den Gästen des Bürgermeisters, zu den Freunden seiner Freunde und mit der Zeit-3 Kinder haben wir inzwischen-wird er der Liebhaber seiner Tochter Glauke. Ich darf nicht mehr gesehen werden mit ihm, lebe nur noch im Flüchtlingslager und bekomme eine Stelle zum Putzen in Glaukes Haus. Am Abend schmerzt mich der ganze Körper. Jason, was hast du mir versprochen? Was tust du mir an ?Keiner spricht meine Sprache, meine Kinder kuscheln sich verängstigt an mich, sie müssen die großen Hunde Glaukes ausführen, die größer sind als sie selbst, in ihrer Angst werfen sie die Futternäpfchen um und verstecken sich hinter den Bäumen. Sie dürfen Glaukes Haus nicht mehr betreten.

Im Lager höre ich von der Hochzeit Jasons mit Glauke. Mein Jason. Wir sind verheiratet, aber du hast die Papiere zerstört, Jason, du hattest sie noch bei der Abreise, als sie dir nützlich waren. Ich flehe ihn an. „Jason, die Papiere, ohne Papiere bin ich gar nichts.“ Ich soll für die Hochzeit mit einem Stab von Köchen als Küchenmädchen mitkochen. Hunderte festlich gekleidete Gäste kommen. Unsere Kinder aber leben hungrig im Dreck und werden nie dort herauskommen, ohne Papiere haben sie keine Zukunft, es geht ihnen schlechter als jedem schwarzen Sklaven. Wenn ich die Augen schließe, sind sie da, die Traumata, der gemeuchelte Bruder, der ertrunkene Mikos und ich mit den letzten Lappen am Körper, ein T-Shirt mit Let’s rock Baby, der ganze Hohn des Westens. Wie ich sind viele hier im Lager, allein, ohne Papiere, sprachlos, unsichtbar. Wir trauen uns nicht die Hände zu reichen, vielleicht ist der andere ein Verräter. Ein tiefer Schmerz liegt über uns allen.

Schön ist das Hochzeitskleid von Glauke, aus Spitze mit Goldplättchen benäht und einem 15 m langen Schleier, länger als der von Königinnen. Aber Pheres, mein Sohn, soll draufgetreten haben, ein dunkler Fußabdruck ist über dem Saum. „Bring ihn in Ordnung, den Dreck deiner Meute!“, schreit Glauke. Ich hatte es noch von meiner Amme, dieses Pulver, kannte seine schreckliche Wirkung. Hitze steigt in mir auf, und ich weiß, was ich tun muss. Ich säubere das Kleid und bestäube es innen mit dem Pulver. Man sagte mir, es brannte sich so in die Haut ein, dass Glaukes Schreie die Hochzeitsglocken übertönten. Sie stand in Flammen wie ihre eigene Hochzeitskerze. Man suchte mich sofort.

Ich fliehe in das Zelt zu meinen Kindern. Sie sollen nicht am Hass Glaukes und Jasons untergehen, sie haben niemanden mehr, der für sie spricht. Ich schlinge meine Arme um sie, küsse ihre Tränen und spüre ihren warmen Atem auf meinem Arm. Ich singe ihnen ein Schlaflied, lege sie auf das Bett und drücke ein großes weiches Kissen auf ihre kleinen Gesichtchen. Sie schnappen nach Luft, strampeln und werden langsam still. Was sonst bleibt mir? Für mich gilt nicht dieses Recht hier, das in dicken Büchern ist, auslegbar für den, der einen Anwalt bezahlen kann. In meinem Blut aber fließt das Recht meiner Vorfahren, es ist heiß, unumkehrbar, unmittelbar. Nie soll Jason wieder Kinder meiner königlichen Linie haben! Nie wieder ihre weichen Arme um ihren Hals spüren. Jason, hast du je einen Funken Liebe für uns verspürt, oder waren wir nur deine Schachfiguren?

Ehe das Lager gestürmt wird, kann ich entkommen und laufe, laufe, laufe. Wandere dreieinhalb Tage bis zum Evros mit blutenden Füßen, esse Feigen und trinke aus vergessenen Brunnen. Drüben liegt das Land, in dem ich Schutz finden soll, man wird mich abholen. Aber Schutz wovor? Meine Gedanken martern mich. Wo ist das Glück, das du mir versprochen hast, Jason. Ich wate knöcheltief durch das Blut meiner Liebsten und der Hass reibt mich von innen auf. Immer werde ich meine Kinder sehen, bleich mit einem Tröpfchen Blut an den Mundwinkeln, immer werde ich ihre Gräber suchen und nachts mit Blumen bedecken, bis ich im Traum schreiend hochschrecke. Ach, diese Träume!

Die Bäume werfen lange Schatten, als das Boot leise durch das Wasser gleitet. Hier bin ich. Medea, die Rasende, die Brudermörderin, die Kindsmörderin. Setzt mich ab auf der anderen Seite des Flusses, wo meine Toten schon auf mich warten. Was kann mich noch retten, jeder neue Tag ist schlimmer als der vorangegangene, nie hört er auf, der Schmerz. Die Träume tauchen mich in Blut. Ich klettere in das Boot, lasse mich auf die Bank fallen und ziehe ein schwarzes Tuch über mich. Sie werden mich jagen, die Polizei, mein Vater, meine Gedanken. Ich hole das kleine Messer aus meinem Gürtel und schneide damit meine Pulsadern auf. Bis wir am anderen Ufer sind, wird es nur noch meinen Körper geben. Der Hades ist schwarz, er kennt keine Freude, aber auch keinen Schmerz, sagen die Alten.

Ich bin Medea, die Betrogene, die Mörderin, die Heimatlose, die Hoffnungslose. Ihr werdet zweifeln, ob ich zu verdammen bin, viele Jahrhunderte hindurch. Das Urteil aber trage ich allein in mir.

Das Boot stößt knirschend am anderen Ufer auf Land.

Uta Schönharting, Atlantik, verlassene Landschaft (Öl)

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