kreuzberger dichtungswerk

Michael Kreutzer, flaute

ein hauch
der nicht mehr geht
und niemals ging

ein sog
der steht
und gar nicht saugt

ein licht
das draußen draußen sagt
und niemals
wo

so bau ich brücken
übers loch im teppich
fahr die ornamente lang
nach Bagdad

mein opel baujahr 57
hat einen kühlerrost
der lächelt

es dämmert
graue vögel schrein
ein däumling kommt
und geht

kommen eltern auch
sone solche
gegen sieben

straßenbahnen kreischen
in der kurve zum depot

es ist spät

ich lass die lampe an

2 Kommentare

  1. Gesichertes Infragestellen, ueber Löcher Brücken bauen und auf ihnen mit lächelndem Opel fahren, real, irreal, surreal gleichwertig in der Dämmerung, ein Gedicht, das alles zulässt und wundersam in Form bringt, ich möchte es immer wieder lesen.

  2. Ein Gedicht, das mich gefangen nimmt in einem Raum, den ich nicht begreife. Bilder entstehen, wollen interpretiert werden, entziehen sich der Deutung. Aber sie sind stark, lassen nicht los. Und so kann ich nicht aufhören, über sie nachzudenken, ihnen einen Sinn zu entlocken, wenn nicht gar überzustülpen. Die ersten drei Strophen sprechen von Bewegungslosigkeit, „Flaute“, nichts geht, nicht weht, schwer wiegt die Zeit. Wie jetzt, denke ich. Die Corona-Zeit wird ja oft als „bleiern“ beschrieben.
    Irgendwo gibt es ein Licht, doch weit fort, nicht zu verorten. Keine Hoffnung. Ich glaube, ein Kind zu sehen, allein in seinem Zimmer, verurteilt zur Tatenlosigkeit, zur Langeweile. Zur Einsamkeit. Ich sehe eine Kinderhand, die das Muster auf dem Orientteppich nachzeichnet, hin zu einem Sehnsuchtsort, der Bagdad heißt. Entnommen den Märchen von Tausend und eine Nacht?
    Aben dann, was mache ich mit dem Opel? Ein Kind hat keinen Opel. Ist es also der Erwachsene, der sich erinnert, der sich in seine Kindheit fallen lässt, sie nachempfindet, nacherfindet? Interessant übrigens, dass der Kühlergrill lächelt. Ich kann mich noch gut an diese Autos erinnern, ich empfand ihre Kühler immer als bösartig grinsend. Aggressiv.
    Und dann ist es doch wieder ein Kind. Eine Märchenfigur taucht auf, der Däumling. Doch er taugt nicht zur Gesellschaft, geht gleich wieder. Außerdem ist er ein bisschen unheimlich. Geräusche, die Einsamkeit darstellen, diese noch vertiefen. Die Schreie der Vögel, das Kreischen der Straßenbahn.
    Und dann die Eltern. Sone und solche. Nicht immer dieselben. Vielleicht manchmal gut gelaunt und liebevoll, machmal schlecht gelaunt und abweisend. Das Kind muss sie hinnehmen.
    Es lässt das Licht brennen. Oder ist es der Erwachsene, der das Licht brennen lässt? Fast klingt es mir so. Warum lässt er das Licht an? Einsamkeit, Leere, stille Schwere der Erinnerung, des Wieder-Kind-Seins?
    Licht kann das abmildern, kann Dämonen vertreiben.
    Das ist es, was mir so durch den Kopf geht, wenn ich das Gedicht lese und wieder lese.
    Aber bestimmt ist alles ganz anders.

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